Mein (lieber) Freund Herr Perfektionismus

Ich habe einen Freund, der mir häufig begegnet, Herr Perfektionismus. Er ist in mir zuhause und meldet sich gerne bei anstehenden Aufgaben. Wo sich bei anderen schon längst ein Gefühl der Zufriedenheit eingestellt hat, brüte ich immer noch über meine Aufgaben und überlege, wie ich es verbessern könnte. Herr Perfektionismus hat eine starke, dunkle Stimme und sagt gerne Sätze wie: „Nein, damit bin ich noch nicht zufrieden!“ „Das kriegen wir aber noch besser hin!“ „Pausen sind überbewertet!“ „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“. Zudem ist er der festen Ansicht, dass er vollkommen richtig reagiert, schließlich sind 100% Leistung (s)ein absolutes Minimum.

Interessanterweise meldet er sich jedoch nicht zu Themen, die ihn nicht sonderlich interessieren. Meine Stehlampe z.B. akzeptiert er seit Monaten mit zwei statt mit drei Glühbirnen. Mein Kabelanschluss funktioniert seit Jahren nicht mehr. Zu diesem Mangel hat Herr Perfektionismus noch nie ein Wort verloren. Auch Steuererklärungen liegen anscheinend nicht in seinem Refugium. Hat Herr Perfektionismus jedoch für etwas Feuer gefangen, ist er in seinem Eifer nicht zu bremsen. Dann treibt er mich gnadenlos an und ist erst zufrieden, wenn ich die Aufgabe im höchsten Maße erledigt habe. Ob ich ihn mag oder nicht, ich muss ihm wohl oder übel zugestehen, dass er seine Rolle wirklich gut ausfüllt. Denn wenn er einmal zufrieden ist, dann kann sich das Ergebnis wirklich sehen lassen. Jedoch gibt es nicht wenige Tage, an denen ich kein Sterbenswörtchen von ihm hören möchte. Wenn er sich dann doch meldet, möchte ich ihn lautstark in die Schranken verweisen. Auch wenn ich es nicht immer schaffe, eines habe ich jedoch im Umgang mit Herrn Perfektionismus gelernt, ein verständnisvoller Blick und wohlwollende Worte mag er lieber. Dann kann er sich selber in Ruhe zurückziehen und mit leisen Worten flüstern: „Ich will doch nur das Beste für Dich.“